Das Leben ist schön

Liebe Besucherinnen und Besucher der Vesperkirche.

Ich grüße Sie alle herzlich. Mein Name ist Siegfried Fischer, evang. Krankenhauspfarrer in LB.

„Das Leben ist schön“ sagt Herr Keller noch, lächelt dabei und streicht mit seinen Händen nochmals über die Klaviertasten. Seine Worte erinnern mich an einen Kinofilm mit demselben Titel. Ob er ihn auch gekannt hat?

Herr Keller – seinen Namen habe ich geändert – war im vergangenen Jahr Patient bei uns in der Klinik. Sein Leben war die Musik. Er erzählte mir, wie er schon früh angefangen hat, Klavier zu spielen; wie glücklich er war, als er zum ersten Mal in einer Rockband mitspielen durfte.

Immer wieder hält er plötzlich inne und richtet sich aus seinem Krankenbett auf. Hält sich mit seinen Händen den Kopf. „Irgendetwas stimmt da nicht“, meint er. Seine Frau sitzt daneben und atmet tief durch.

Herr Keller hat einen Hirntumor und sollte am nächsten Tag operiert werden. Die Chancen, wieder geheilt zu werden, sind sehr gering. „Sie werden viel Geduld brauchen“, meinte die Ärztin.

Frau Keller erzählt aus ihrem gemeinsamen Leben, um ein wenig abzulenken. Sie selbst war als kleines Kind mit ihren Eltern aus Ungarn geflohen und hat in Süddeutschland ihren Mann kennen gelernt. Hier haben sie eine feste Bleibe gefunden, Kinder groß gezogen. „Es war nicht immer einfach, aber es war gut“, sagt sie. „Und immer hat uns die Musik begleitet“.

„Wissen Sie, ob es hier in der Klinik ein Klavier gibt?“ fragt sie später, als wir uns im Flur noch einmal begegnen. „Mein Mann würde so gerne vor dem morgigen Tag noch einmal Klavier spielen. Vielleicht ist es das letzte Mal.“

„Ja, das kriegen wir doch hin“, meint Jenny, die zuständige Krankenschwester. Sie klärt es mit dem Arzt ab und besorgt gleich einen Rollstuhl. Wenig später sitzen wir in einem Aufenthaltsraum der Klinik, in dem ein Klavier steht. Ein paar Patienten und Besucher lauschen der Musik und setzen sich dazu. Herr Keller wirkt erschöpft. Ganz in sich gekehrt sitzt er auf dem Klavierstuhl und lässt doch mit einer Leichtigkeit eine wunderschöne Musik erklingen: Die Klaviersonate von Franz Schubert in B-Dur. Seine Frau kämpft mit den Tränen und doch strahlen ihre Augen. Als er aufhört ist es eine Weile ganz still. Das war ein besonderer Moment.

„Das Leben ist schön“, sagt Herr Keller noch mit einem Lächeln, bevor er allen die Hand gibt und sich von ihnen verabschiedet. Jenny hatte auch Tränen in den Augen, sie ahnte, was auf ihn zukommen wird. Sie begleitet ihn auf dem Rollstuhl und bringt ihn zusammen mit seiner Frau auf sein Zimmer. Es war tatsächlich das letzte Mal… kurz vor Weihnachten ist er zu Hause verstorben.

„Dass er das noch geschafft hat…“, erzählt mir seine Frau später „das war wie ein Wunder.“

Zur rechten Zeit hat sie noch gespürt, was jetzt dran ist.

Zur rechten Zeit eine Jenny gefunden, die gemerkt hat, was es jetzt braucht. Und es brauchte gar nicht viel…

Zur rechten Zeit jemand mit einem Lächeln ein warmes Essen in der Vesperkirche gereicht… Zur rechten Zeit aufmerksam gewesen.

„Das Leben ist schön“ – manchmal braucht es ganz wenig dafür.

Ich wünsche Ihnen noch einen schönen Tag.

Siegfried Fischer, evang. Krankenhauspfarrer in Ludwigsburg