Andacht am 20.02.2010, Pfarrerin Leins

Liebe Anwesende,
ich wollte Ihnen gerne etwas erzählen, das ich unlängst erlebt habe.
Ich war auf der Heimfahrt von der Schwäbischen Alb in diesen vergangenen winterlichen Tagen.
Auf dem Hinweg war mir nicht aufgefallen, dass an meinem Auto – einem in die Jahre gekommenen Golf – etwas nicht in Ordnung sein könnte. Aber jetzt, kaum war ich ein paar Meter gefahren, klemmte das Kupplungspedal. Zuerst dachte ich, die Fußmatte hätte sich verhakt, aber dem war nicht so. Und als nach kurzer Zeit auch noch die rote Ölwarnlampe aufleuchtete, wusste ich, dass mir nichts anderes übrig blieb, als sofort anzuhalten.
Es war später Sonntagnachmittag, Berge von Schnee türmten sich um mich herum, eine Eiseskälte durchzog meine Glieder. Und es dauerte und dauerte, bis endlich ein Pannendienst kam.
Schnell stellte sich heraus, dass ich mit meinem Auto nicht weiterfahren konnte, sondern einen Leihwagen brauchte. Der Mann von der Pannenhilfe machte mich aber gleich darauf aufmerksam, dass er gerade kein dem VW-Golf entsprechendes Auto zur Verfügung hätte, sondern nur ein größeres und somit in der Leihgebühr teureres.
Mittlerweile war es Nacht geworden, mir blieb nichts anderes übrig als zuzugreifen.

In diesem Auto zu fahren, war zunächst ganz ungewohnt für mich.
Um alle Möglichkeiten nutzen zu können, hätte ich erst einmal stundenlang das Bordbuch studieren müssen.
Aber je länger ich fuhr, umso mehr nahm ich wahr, in was für einem tollen Auto ich da saß:
der beheizte Sitz, das angenehme Fahrgefühl, die leisen Motorengeräusche, und überhaupt, wie sicher das Auto auf der Straße lag  .  .  .
Nach drei Tagen musste ich es wieder abgeben, mein eigenes war repariert worden.
Leider, dachte ich so bei mir, ein solches Auto zu fahren, wäre schon schön – so angenehm, ganz abgesehen von den neidvollen Blicken der anderen  .  .  .
Doch als ich dann wieder in meinem eigenen Auto saß, war ich auch froh.
Das war meine Welt, mein Leben, da kannte ich mich aus.
Der kleine Ausflug in diese andere Welt war interessant, spannend, weckte Sehnsüchte – keine Frage,
zeigte mir aber:
Einmal mit einem solchen Auto gefahren zu sein,
einmal für eine kleine Weile in die Haut einer anderen zu schlüpfen genügt, um mich wieder in meiner eigenen Haut wohl und zu Hause zu fühlen.

Die Initiative Vesperkirche hat viele Facetten.
Vielleicht auch diese:
Wie mit dem Leihauto es einmal zu wagen, aus den eigenen vier Wänden herauszugehen in die Welten anderer Menschen hinein, um die eigene Welt als meine Welt wieder besser akzeptieren zu können.
Und vielleicht passiert sogar noch mehr:
Mir wird dabei klarer, was mir wichtig ist und was ich dafür tun möchte  .  .  .

Weiterhin einen guten Aufenthalt hier in der Vesperkirche wünscht Ihnen
Pfarrerin Birgit Leins