Andacht am 13.02.2011, Pfarrerin Gisela Vogt

„Helga ich will"

Gut sichtbar hing dieser Satz, mit großen blauen Buchstaben auf ein Leintuch geschrieben, von einer Autobahnbrücke.

„Helga ich will“….

Ich war auf dem Weg in die Ferien und machte mir so meine Gedanken über das „Helga ich will“.

Vielleicht eine Liebeserklärung nach dem ersten Treffen oder gar ein Heiratsantrag? Da hat sich einer ganz für diese Helga entschieden und will in seiner Freude dieses nun ihr und aller Welt kundtun.

Ich fuhr meine Straße weiter und sah von der nächsten Brücke wieder ein Leintuch herunter hängen. Dieses Mal stand darauf:
„dich nicht“

Ich setzte die Worte des ersten und des zweiten Leintuches zusammen.

„Helga ich will dich nicht“

Mist! Das ist ja wie ein Schlag ins Gesicht. Zuerst „himmelhoch jauchzend“ und dann „zu Tode betrübt“. Ich wurde wütend auf den Schreiberling. Wie der mit Helga umgeht. Eine größere Verletzung kann man der Freundin nicht zufügen. Sie zurückzuweisen ist schon hart, aber das jetzt auch noch in aller Öffentlichkeit kund zu tun. Das ist schon ein Hammer. 
Eine Stinkwut hatte ich auf diesen Typen. So ein grober Klotz, so ein gemeiner Schuft. Wie der mit seiner Freundin umgeht. Helga  kann froh sein, dass sie den los ist!

Meine Fahrt war noch nicht zu Ende und die Geschichte von Helga auch nicht.

Von der dritten Brücke hing noch ein Leintuch und noch einmal stand mit großen blauen Buchstaben etwas darauf geschrieben:

„verlieren. Dein Sebastian.“

„Helga ich will dich nicht verlieren. Dein Sebastian.

Eine so originelle und eindringliche Bitte habe ich selten erlebt. Und, ich gestehe, ich schmunzelte und war auch ein wenig beschämt, dass ich Sebastian so in eine Schublade gesteckt hatte. 


In den Tagen jetzt vor der Vesperkirche ist mir diese kleine Begebenheit von damals, auf dem Weg in die Ferien, wieder in den Sinn gekommen.

Wie oft mache ich mir eigentlich ein Urteil über jemanden, den ich noch gar nicht recht kenne?  Einen neuen Hausbewohner, eine neue Kollegin, vielleicht kennen sie das ja auch.

Wie oft ziehe ich vorschnell einen Schluss aus einer Sache, die noch nicht bis zum Ende besprochen und von allen Seiten beleuchtet ist.
Wie schnell platze ich in ein Gespräch, lasse andere nicht ausreden, weil ich meine, ihren nächsten Satz eh schon zu kennen. Höre vielleicht auch gar nicht richtig zu, weil ich sowieso schon alles zu wissen meine.

„Miteinander für Leib und Seele“, so heißt das Motto der Ludwigsburger Vesperkirche.
Ein gutes Essen, an schön gedeckten Tischen gehört dazu. Aber vor allem, dass Menschen, die hier her kommen sich offen, vorurteilsfrei begegnen.
Für Leib und Seele ist es gut, wenn die, die an einem Tisch zusammen sitzen und die, die hier werkeln und schaffen sich einlassen, einander zuhören und nicht vorschnell Schlüsse ziehen und meinen zu wissen, wie der andere oder die andere ist.

Sebastian, so hoffe ich, hat seine Helga nicht verloren und wer weiß - vielleicht entstehen hier bei der Vesperkirche auch Kontakte, wo der eine zum anderen sagt: „dich will ich nicht verlieren“, auch wenn es zu Beginn gar nicht so danach ausgesehen hat.