Andacht am 16.02.2011, Diakon Gebhard Altenburger

Unerwartete Antwort

Die Regierung eines modernen Industriestaates hatte eine Delegation von Mönchen und hohen tibetischen Beamten in die Hauptstadt eingeladen. Diese waren noch nie aus Tibet heraus gekommen. Die Regierung des modernen  Industriestaates wollte erfahren, was man für das so arme und rückständige Land tun könnte.
Die Besucher aus Tibet kamen in ihren bunten Gewändern in die Weltstadt. Sie fuhren mit ihren Begleitern in der U-Bahn, mitten unter Menschenmassen, die dunkel und für die Geschäfte gekleidet waren, die ernsthaft in ihre Zeitung vertieft waren und die sich ohne Kontakt miteinander hektisch in die abfahrenden Züge drängten. Keiner unterhielt sich, keiner lächelte, jeder war mit sich selber beschäftigt.
Da wandte sich der Leiter der tibetischen Delegation an den Begleiter der Regierung des Industriestaates und fragte - voller Mitleid: „Was können wir für euch tun“?


Die Geschichte kann nachdenklich machen. Sie stellt unsere Denkweise, unsere Maßstäbe, vielleicht sogar unser ganzes Lebenskonzept auf den Kopf. Die Geschichte kann dazu anregen, Fragen zu stellen, Fragen an sich selbst:

Wer ist denn eigentlich wirklich  reich, wer ist bedürftig?

Wer ist wichtig, wer ist unwichtig?
Ein Staatspräsident für das Land oder eine Mutter für das Kind?

Wer ist wissend, wer ist unwissend?
Ein Universitätsprofessor oder ein Lebenskünstler?

Wer ist ein Held?
Ein Soldat oder ein Pazifist?

Wer ist wertvoll?
Ein Herzchirurg oder ein Freund?

Wer ist stark, wer ist schwach?
Ein Bauarbeiter oder eine Pflegerin auf der Krebsstation?

Wer kann für wen etwas tun? Wer hat etwas zu geben, wer braucht etwas?

Die Antworten hängen davon ab, welche Maßstäbe zugrunde liegen.
Menschen haben unterschiedliche Maßstäbe, je nach gesellschaftlicher Position oder der momentanen Lebenssituation.

Für Gott sind alle Menschen wertvoll und wichtig. Jeder Mensch kann etwas für jemanden tun. Jeder Mensch kann etwas dazu beitragen, dass die Welt ein bisschen heller und menschlicher wird. Jeder Mensch hat seinen Platz in Gottes Plan.

Und vor Gott gibt es nur einen Maßstab für die Wertschätzung und das ist die Liebe.

Reich sind wir alle, weil wir die Liebe Gottes haben.
Bedürftig sind wir alle, weil wir wissen, dass wir ohne Gott nichts sind und nichts haben.

Menschen brauchen Gott und Menschen brauchen einander, jeder kann etwas geben, jeder darf etwas empfangen. Dafür aber müssen Menschen sich begegnen.
Wenn Begegnung gelingt, dann ist sie immer ein Segen für die, die sich begegnen.
Ich wünsche Ihnen die Offenheit für gute Begegnungen, heute und in Ihrem ganzen Leben immer wieder.