Andacht am 03.03.2012, Pfarrer Dr. Gottfried Claß

Liebe Vesperkirchengemeinde,

„Hinfallen ist menschlich,
liegen bleiben ist teuflisch,
aufstehen ist göttlich“


Vielleicht ist Ihnen dieses geflügelte Wort auch schon begegnet. Ich weiß nicht, von wem es ursprünglich stammt. Auf jeden Fall finde ich es nachdenkenswert.

„Hinfallen ist menschlich“
Es stimmt ja: Wer kriecht, der kann nicht fallen. Nur wer aufrecht geht, geht auch das Risiko ein, hinzufallen. Darum hat man im aufrechten Gang auch etwas von der typischen Würde des Menschen gesehen. „Bleib aufrecht!“, rief mir einst meine Schwiegermutter zu, als ich zu einem schwierigen Gespräch im Oberkirchenrat aufbrach. Den aufrechten Gang wagen, das heißt ja, sich nicht einschüchtern und klein machen zu lassen.
Dabei kann man ins Stolpern geraten, sich verheddern, über einen Stein fallen, der im Weg liegt. Und wir alle wissen:  Hinfallen kann ganz schön wehtun. Wie oft bin ich als Bub mit aufgefallenen Knien vom Fußball oder von Streifzügen zurückgekehrt. Und heute: Die Niederlagen, die Enttäuschungen, die wir als Erwachsene erleben, die eigenen Fehler, die uns unterlaufen sind – sie hinterlassen Spuren in der Seele.
Nein, hinfallen ist nicht angenehm – aber durch und durch menschlich!

„Liegenbleiben aber ist teuflisch“
Ich bin mit einer Sache auf die Nase gefallen – wie es so treffend heißt. Doch anstatt nun aufzustehen, aus dem Fehler zu lernen oder aus der verfahrenen Situation herauszukommen, bleibe ich liegen und aale mich in meinem Unglück. „Ich armer Kerl!“
Da liegt in Jerusalem am Teich Bethesda seit 38 Jahren ein gelähmter Mann, um dort auf Heilung zu warten. Und dann kommt Jesus zu ihm und fragt ihn: „Willst du gesund werden?“ Ist das nicht geschmacklos, so zu fragen?! Das ist doch das Selbstverständlichste auf der Welt, dass dieser Mensch wieder gesund werden will. Aber offensichtlich doch nicht. Wie gut richten sich Menschen in ihrem Unglück ein. Das Liegenbleiben ist verführerisch bequem. Darum fragt Jesus: Willst du gesund werden! Willst du tatsächlich aufstehen?
Das Liegenbleiben hat etwas Teuflisches. Denn es trichtert uns Menschen ein: „Man kann eh nichts machen…!“ – bis der eigene Wille und Lebensmut tatsächlich ganz gelähmt sind.

„Aufstehen ist göttlich“

Von Aufstehen ist da die Rede, nicht von Auferstehung. Und doch: Wenn ein Mensch, der am Boden lag, wieder die Kraft und den Mut findet, aufzustehen und neue Schritte zu wagen, dann passiert hier ein Stück Auferstehung. Es begann damals an Ostern, als Jesus nach seinem schmachvollen Tod am Kreuz nicht im Grab liegenblieb, sondern zu neuem Leben erweckt wurde. Es war ein göttliches Wunder.
Und Spuren von diesem Wunder, Osterspuren können wir auch unter uns entdecken – hier und heute:
Wenn ein Mensch, der Fehler gemacht hat, die Freiheit findet, dazu zu stehen, ohne sich nun mit Selbstverachtung zu bestrafen.
Oder: Wenn ein Jugendlicher, der eine schwere Kindheit durchlebt hat, trotz allem seinen Weg findet und Vertrauen ins Leben ausbildet.

Hier werden Todesbande durchbrochen. Hier geschieht fortgesetzt Auferstehung.
Allerdings geschieht dieses Aufstehen nicht aus eigener Kraft. Nein, hier ist eine andere Kraft am Werk, die Kraft des göttlichen Geistes, der lebendig macht. Auch das sagt jenes geflügelte Wort: Aufstehen ist eben nicht menschlich – im Gegenteil, die Schwerkraft unserer Fehler und Lebenskrisen zieht uns eher hinab. Aber es gibt eine Gegenkraft, die nach oben zieht, die uns den aufrechten Gang zurückerobert. Und diese Kraft kommt von Gott.