Andacht am 04.03.2012, Diakon Martin Strecker

Liebe Gäste in der Vesperkirche,

heute ist Sonntag. – Aus meiner Kindheit habe ich ein ganz eindrückliches Bild eines Sonntags in Erinnerung: Ich war vielleicht 12 Jahre alt und mit meiner Familie im Sommerurlaub. Wir verbrachten zwei Wochen in Südtirol, auf einem schönen alten Bauernhof, in Fremdenzimmern. An einem Sonntag – es war früher Nachmittag -  kamen wir von einem Spaziergang zum Haus zurück und da sah ich ihn schon von weitem sitzen:  Der Opa der Familie, der nie viel sprach. Er saß, wie auch sonst häufig, auf der Bank an einem alten Holztisch vor dem Haus. Es fiel mir gleich auf: Er hatte seine blaue Schürze, die er sonst immer trug, nicht umgebunden. Vor ihm lag ein großes altes Buch mit einem dicken Einband: Es war eine aufgeschlagene Bibel. Er las darin. – Dieses Bild hat mich tief beeindruckt: Da saß er, ohne seine blaue Schürze – es war ja Sonntag. Da saß er und las in aller Ruhe in seiner Bibel.

Ich weiß nicht, wie Sie Ihre Sonntage begehen, welche Rituale Sie vielleicht pflegen. – Ich frage mich ab und an selbstkritisch, wie ich eigentlich meinen Sonntag begehe. Welche Sonntagskultur ich pflege.

Neulich las ich den Buchtitel: Schenk Deiner Seele einen Sonntag! – Ein wohltuender Satz: Schenk Deiner Seele einen Sonntag! – Ja, der Sonntag ist ein großes Geschenk an uns Menschen und nicht nur unser Leib, sondern auch unsere Seele braucht den Sonntag. – Meist sind wir ja körperlich gar nicht so sehr ausgepowert, dass wir den Sonntag als körperlichen Ruhetag benötigen. – Vielmehr brauchen wir den Sonntag als eine Tankstelle für unsere Seele. Für viele Gäste sind die drei Wochen Vesperkirche, wie ein langer Sonntag – für Leib und Seele. –

Die Sonntagskultur feiert das „Sein“ und nicht das „Machen“ und auch nicht das „Haben“. – Einfach nur da zu sein. Zu sitzen. Die Zeit an mir vorbei streichen zu lassen. Nichts machen und nichts haben zu müssen. Inne zu halten. Das tut gut. Und: Das bringt uns zu dem zurück, was mit dem Sonntag ursprünglich gemeint war:
Der jüdische Sabbat ist ein Ruhe- und Erinnerungstag: Gott selbst ruht in der Schöpfungsgeschichte am siebten Tag nach getaner Arbeit. – Ruhetag.  –
Bei den Propheten kommt noch ein Weiteres hinzu: Der Sabbat ist der Erinnerungstag an die Befreiung aus der Gefangenschaft in Ägypten. – Befreiungstag!

Die ersten Christen setzten mit ihrem Sonntag noch ein drittes Moment hinzu: Der Sonntag als Festtag der Auferstehung Jesu Christi! Und sie setzten ihn an den Beginn der Woche: Jede Woche soll mit diesem Fest der Auferstehung beginnen.

Der Sonntag: Ein Ruhetag – ein Befreiungstag – ein Festtag.

Ich wünsche Ihnen, dass Sie von diesem Sonntag heute – und von dem langen Sonntag namens „Vesperkirche“ viel Kraft und Anregung mitnehmen: Für Leib und Seele. – Vielleicht denken Sie am nächsten Sonntag ja mal wieder daran: Der Sonntag will ein Ruhetag – ein Befreiungstag und ein Festtag sein! – ach ja, und: legen Sie die blaue Schürze ab. Das hilft!