Andacht am 12.02.2012, Pfarrerin Gisela Vogt

Engel ohne Flügel

Engel haben Konjunktur. Nein, nicht nur in der Weihnachtszeit, auch sonst.
In Scharen bevölkern sie die  Kaufhäuser, man sieht sie auf Servietten und Geschenkpapier, sie werben für einen besonders cremigen Frischkäse, ja und auch bei uns hier in der Kirche sind sie zu finden. Klar, in einer Kirche…

Vielleicht haben sie ja heute mal eine Stille Minute, dann schauen sie sich doch hier um, wie viel Engel in der Kirche in Stein oder Marmor gemeißelt sind.  Einer schöner als der andere.

Aber ganz ehrlich, die richtigen  Engel, die sehen nicht so aus, wie die kleinen Pausbäckigen, die mit lockigem Haar und holder Geste den Betrachter grüßen.

Die Künstler und Maler  haben sie früher nur so dargestellt, weil sie den Betrachtern bestimmte Dinge klarmachen wollten.
Zum Beispiel, dass die Engel vom Himmel, also von Gott, kommen.
Deshalb haben die Maler ihnen Flügel gemalt.
Eigentlich aber sehen Engel natürlich nicht so aus.
Wahrscheinlich sehen sie überhaupt nicht irgendwie besonders aus.

Wenn in der Bibel von Engeln erzählt wird, dann ist es gerade das Besondere, dass sie nicht irgendwie besonders sind. Ausdrücklich wird betont, dass die Menschen, denen ein Engel begegnet, diesen zuerst gar nicht erkennen.
Erst später, wenn sie Hilfe bekommen haben, Beistand, Schutz, Rat, Trost, erst dann begreifen die Menschen auf einmal:
Das kam von Gott. Da hat mir Gott selbst jemanden zur Hilfe geschickt.
Das war ein Engel.
"Du bist ein Enger: sagt man ja deshalb auch manchmal zu jemandem, der geholfen und geraten und mir beigestanden hat.
Es gibt ein sehr schönes Gedicht von Rudolf Otto Wiemer, in dem das festgehalten ist.

Es geht so:

Es müssen nicht Männer mit Flügeln sein,
die Engel.

Sie gehen leise, sie müssen nicht schrein,
oft sind sie alt und hässlich und klein,
die Engel.

Sie haben kein Schwert, kein weißes Gewand,
die Engel.

Vielleicht ist einer, der gibt dir die Hand,
oder er wohnt neben dir, Wand an Wand,
der Engel.

Dem Hungernden hat er das Brot gebracht,
der Engel.

Dem Kranken hat er das Bett gemacht,
er hört, wenn du ihn rufst, in der Nacht,
der Engel.

Er steht im Weg und er sagt: Nein,
der Engel,

groß wie ein Pfahl und hart wie ein Stein,
es müssen nicht Männer mit Flügeln sein,
die Engel.


Dieses Gedicht erzählt so wunderbar alltäglich von den Engeln.
Und ich glaube fest, dass Gott uns, Ihnen und mir, seine Engel schon oft geschickt hat und immer wieder schickt.
Ja, und auch hier in der Vesperkirche, so glaube ich, ist es immer wieder zu spüren. Man muss nur offen sein, genau hinsehen und hinhören.
Dann sehen wir die Engel, die Gott uns schickt… jeder und jede so wie er oder sie es nötig hat.
Und ich glaube auch, dass Gott ab und an auch mich und Sie braucht, wenn ein anderer Mensch einen Engel nötig hat.

Das Gedicht über die Engel, die nicht Männer mit Flügeln sein müssen, erinnert daran und ich wünsche Ihnen und mir, dass Engel uns zur Seite sind, wenn wir sie  brauchen. Und dass wir zu Engel für andere werden, wenn sie uns brauchen.

In diesem Sinne - seien Sie achtsam, offen und weitherzig, für die Engel hier in der Vesperkirche und anderswo.