Andacht am 17.02.2012, Pfarrer Markus Laidig

Der gute Mensch am Höllentor

Die Hölle war total überfüllt, und noch immer stand eine lange Schlange am Eingang. Schließlich musste sich der Teufel persönlich heraus begeben, um die Bewerber fort zu schicken. „Bei mir ist alles so überfüllt, dass nur noch ein einziger Platz frei ist,“ sagte er. „Den muss der ärgste Sünder bekommen. Sind vielleicht Mörder unter den Wartenden?“ Nun forschte er unter den Anstehenden und hörte sich ihre Verfehlungen an. Was auch immer sie ihm erzählten, nichts schien ihm schrecklich genug, als dass er dafür den letzten Platz in der Hölle hergeben wollte. Wieder und wieder blickte er die Schlange entlang.
Schließlich sah er einen, den er noch nicht befragt hatte. „Was ist eigentlich mit Ihnen – dem Herrn, der da für sich allein steht? Was haben Sie getan?“
„Nichts,“ sagte der Mann, den er angesprochen hatte. „Ich bin ein guter Mensch und nur aus Versehen hier. Ich habe geglaubt, die Leute stünden hier um Zigaretten an.“
„Aber, Sie müssen doch etwas getan haben,“ sagte der Teufel. „Jeder Mensch stellt etwas an.“
„Ich sah es wohl,“ sagte der 'gute Mensch', „aber ich hielt mich davon fern. Ich sah, wie Menschen ihre Mitmenschen verfolgten, aber ich beteiligte mich niemals daran. Sie haben Kinder hungern lassen und in die Sklaverei verkauft. Sie haben auf den Schwachen herum getrampelt. Überall um mich herum haben Menschen von Übeltätern jeder Art profitiert. Ich allein widerstand der Versuchung und tat nichts.“
„Absolut nichts?“ fragte der Teufel ungläubig. „Sind Sie sich völlig sicher, dass Sie das alles mit angesehen haben?“
„Vor meiner eigenen Tür,“ sagte der 'gute Mensch'.
„Und Sie haben nichts getan?“ wiederholte der Teufel.
„Nein!“
„Komm herein, mein Sohn, der Platz gehört dir!“
Und als er den 'guten Menschen' herein ließ, drückte sich der Teufel etwas zur Seite, um nicht mit ihm in Berührung zu kommen.

(nach Calderon)