Andacht am 18.02.2013, Pastor Hans-Martin Brombach

Der reichste Mann des Dorfes

Der reichste Mann des Dorfes war stolz auf sich und seinen Reichtum. An einem Sommermorgen machte er seinen Spazierritt durch den Wald. Plötzlich drang ein leiser Ton aus der Nähe an sein Ohr. Sein Pferd anhaltend, lauschte er einen Augenblick. Jemand betete einfältig. Er schaute sich um und entdeckte in einer schattigen Höhle einen alten Armen des Dorfes, der ihn schon manchmal um ein Almosen angefleht hatte. Der alte Mann dankte Gott gerade für ein Stück Brot und einen Becher Wasser.

Das war dem reichen Mann unverständlich. Er wurde unruhig. Er hatte in seinem großen Besitz noch nie einen Anlass erblickt, Gott dafür zu danken. Schnell ritt er weiter, doch das Bild des alten Mannes ließ ihn nicht mehr los.

Auf einmal verdunkelte sich der Himmel, schwarze Wolken zogen sich zusammen und im Wald wurde es unheimlich. Ein bedrückendes Gefühl überkam ihn, das er sich nicht erklären konnte. Es war wie eine Ahnung kommenden Unheils. Da hatte er das Gefühl eine Stimme zu vernehmen, die klar und bestimmt sagte: "In dieser Nacht wird der reichste Mann des Dorfes sterben." Er erschrak. Unfähig, die innere Unruhe länger zu ertragen, sprengte er auf seinem Pferd nach Hause.

Hier kam er in großer Aufregung an und ließ sofort nach dem Arzt senden. Er verbrachte eine schreckliche Nacht, voller Todesangst. Als der erste Morgenschein in sein Zimmer fiel, kehrte auch wieder Farbe in sein Gesicht, denn er lebte noch.

Im Dorf hörte er, dass in dieser Nacht tatsächlich der Tod gekommen war. Jener Alte, den er tags zuvor in der Waldhöhle erblickt hatte, war gestorben. Noch nachdenklich kehrte der reiche Mann nach Hause. Lächelnd empfing ihn seine Frau. "Ich hoffe nun", sagte sie, "dass du einsiehst, dass jene geheimnisvolle Stimme nichts als eine Täuschung war. Ihre Unwahrheit hat sich ja erwiesen: Die Nacht ist vorbei. Du lebst und bist wohl."

"Gewiss", erwiderte er, "aber jene Stimme hatte doch recht. Heute Nacht ist der reichste Mann des Dorfes gestorben."

"Wer könnte das wohl sein?" fragte sie, "wer ist hier reicher als wir?"

Er sagte: "Der Mann, der zu Gott sprechen kann: ‚Wenn ich nur dich habe, so frage ich nichts nach Himmel und Erde.’ Der ärmste Mann unseres Dorfes konnte dies sagen. Im Dorf wird man dir erzählen, dass er heute Nacht gestorben ist; er hat sicherlich nicht so viel hinterlassen, dass sein Begräbnis bezahlt werden kann. Und doch war er der reichste Mann im Dorf.“
(nach P.Langholf)