Andacht am 20.02.2013, Pfarrer Frieder Grau

Jesus sprach zu dem Gelähmten: Mensch, dir sind deine Sünden vergeben! (Lukas 5,20)

"Mensch, das ist ja prima", strahlte die 92-jährige Frau im Pflegebett des Haus am Salon, als beim Zimmerabendmahl der Diakon ihr zusprach: „Freue dich, der allmächtige Gott hat sich über dich erbarmt. Er vergibt dir alle deine Sünden, was war, darf dich nicht mehr quälen. Was kommt, braucht dir keine Angst zu machen. Christus ist deines Lebens Kraft." Und dann griff die alte Dame zum Schälchen mit dem Abendmahlsbrot und aß in aller Ruhe das Stückchen Brot ratzeputz auf, und dann trank sie genüsslich nicht nur einen Schluck vom Wein, sondern gleich den ganzen Kelch leer bis zum letzten Tropfen.

Mensch, das ist ja prima: Vergebung von Schuld, Neuanfang, Befreiung, Gottes Zuwendung.

Nun hat man in einem Alten- und Pflegheim vielleicht nicht allzu viel Gelegenheit zu sündigen. Aber im Laufe eines 92-jährigen Lebens, da kann sich schon so einiges ansammeln an Belastendem und - Ja! - an Schuld: böse Worte, eine Schikane, Untreue, ein kleiner oder größerer Betrug, Schweigen zu politischem Unrecht im Land....

Ja, mag sein, dass ich kein allzu großer Sünder bin, aber schon im Laufe einer Woche kann sich so einiges ansammeln, was drückt, was lähmt, wo ich an mir oder einem anderen Menschen schuldig werde. Was lähmt: Es gibt ja nicht nur die körperliche Lähmung; es gibt die Lähmung an der Seele, die Lähmung der Lebensfreude, die Lähmung des Glaubens. Ich kann wie gelähmt sein und nicht mehr auf einen anderen Menschen zu-gehen.

Jesus spricht zu dem Gelähmten: Mensch, dir sind deine Sünden vergeben. - Das ist wirklich prima, wenn ich wieder Lebensfreude, neues Gott- und Selbstvertrauen geschenkt bekomme.

Aber das ist nicht immer so einfach.
Manchmal kann ich einem anderen Menschen nicht vergeben. Es ist zu viel, was er mir angetan hat. Ich würde ihm gerne vergeben. Ich weiß auch, ich sollte ihm vergeben. "... wie wir vergeben unseren Schuldigern" bete ich im Vaterunser. Aber ich kann einfach nicht. Die Worte waren zu verletzend, haben die ganze Liebe zerstört. Das, was er mir angetan hat, lässt sich nicht vergessen.
Manchmal kann ich mir auch selber nicht vergeben. Wie gerne würde ich etwas rückgängig machen, was ich getan habe. Aber es geht eben nicht. Ich bin schuldig geworden.

Mich hat noch eine andere kleine Begegnung beeindruckt: Da sagt einer zu einem anderen, der am Tod eines Menschen schuldig geworden ist, voller Teilnahme: „Das muss ja schwer sein, mit solch einer Schuld leben zu müssen." Da schaut der andere ihm ruhig in die Augen und sagt freundlich, aber bestimmt: „Das war schwer, aber das ist nicht mehr schwer. Das ist vergeben und vergessen."
Um einem Menschen Vergebung zusprechen zu können, braucht es Autorität. Das muss glaubwürdig sein. Der Zuspruch Jesu hat diese Autorität.

Jesus sprach zu dem Gelähmten: Mensch, dir sind deine Sünden vergeben. Mensch, das ist ja prima, antwortet der, steht auf, nimmt seine Pritsche, auf der er gelegen hat, geht heim, geht in eine neue Zukunft und preist Gott.