Andacht am 17.02.2011, Pfarrerin Barbara Bürkert-Engel

Wo trifft man Gott?

Beim Essen hier in der Vesperkirche, höre ich immer wieder, dass alles so schön sei:
das gute Essen,
und dass man Nachschlag bekäme,
und dass man bedient würde
und dann gibt es auch noch Kaffee und Kuchen, und…
Aber das Allerbeste - das sei, dass man ZUSAMMEN hier sein und GEMEINSAM essen könne.

Das erinnerte mich an eine Geschichte:

Da ist dieser Junge, der unbedingt Gott treffen will.
(wir Erwachsenen, wir haben uns diese Sehnsucht ja hinlänglich abgewöhnt: Gott sehen zu wollen, um uns seiner gewiss zu werden. Oder auch das eine oder andere mit ihm zu klären)
Der Junge ist da viel direkter: er will Gott treffen, also muss er ihn suchen.
Und weil er nicht auf den Kopf gefallen ist, weiß er, dass das ziemlich schwierig ist. Und vor allem langwierig.
Denn, wo trifft man Gott?

Also zieht er Stiefel an, die ihm noch etwas zu groß sind, und dicke Socken – schließlich ist weiß man ja nie, wie weit es zu Gott ist – und packt seinen Rucksack, mit Handschuhen und ein paar Unterhosen zum Wechseln, dem Sparbuch von der Großmutter und oben drauf ein paar Dosen Cola und Schokoriegel.

Und dann macht er sich auf den Weg.

Er ist schon ein paar Straßen gelaufen, da kommt er am Stadtpark vorbei.
Auf einer Bank sitzt eine alte Frau. So wie sie aussieht, ist sie schon seit längerer Zeit nicht mehr zuhause gewesen. Sie sitzt da, hat Zeit und füttert mit Krümelbrot Tauben (auch wenn das natürlich verboten ist, wie ihm seine Mutter ständig erklärt. Schön ist es trotzdem!)

Der Junge setzt sich also neben die Frau und sieht ihr zu. Und mit dem Zusehen bekommt er Hunger. Er öffnet seinen Rucksack und holt einen Schokoriegel heraus. Die Frau sieht kurz zu ihm herüber. Hungrig? Also angelt der Junge noch einen Schokoriegel und reicht ihn der Frau.

Die lächelt ihn an, mit einer Zahnlücke vorne und einem wundervollen Lächeln! Und weil sie mit diesem Lächeln so schön aussieht, reicht er auch noch eine Coladose an seine Nachbarin.
Sie strahlt ihn an. Und der Junge ist glücklich.
 
So sitzen die beiden auf der Bank im Park, sehen den Tauben zu, essen Schokoriegel, trinken Cola – und sprechen kein Wort.
 
Schließlich fängt es an, dunkel zu werden.
Eigentlich hatte er ja Gott suchen wollen, erinnert sich der Junge. Aber jetzt ist er pappsatt von Schokoriegeln und Cola. Da ist es mit der Gottsuche ein wenig schwerer. Und müde ist er auch. Ja, und irgendwie glücklich.
So beschließt er, nach Hause zu gehen. Er steht auf, die alte Frau nickt ihm freundlich zu.

Zuhause fragt die Mutter: "Was hast du denn heute Schönes gemacht, dass du so fröhlich aussiehst?"
Und der Junge antwortete: "Ich habe mit Gott zu Mittag gegessen - und sie hatte ein wundervolles Lächeln!"

Auf die alte Frau wartet niemand dort, wo sie übernachtet. Nur die Katze, die ihr zugelaufen ist, streunt um sie herum. „Stell dir vor“, sagt die alte Frau zu ihr, „ich habe mit Gott zu Mittag gegessen - und er ist viel jünger, als ich dachte."

Liebe Gäste und Mitarbeitende der Vesperkirche:
Vielleicht treffen Sie ja heute auch Gott. Vielleicht sitzt sie neben Ihnen, oder gegenüber.

Falls nicht:
Dann steht am Ausgang eine Kiste mit vielen Schokoriegeln. Zum Mitnehmen. Und weitersuchen. Und teilen. Wer weiß?
Zumindest Parks und Bänke gibt es ja zu Genüge hier in Ludwigsburg.